Stellen Sie sich vor, eines Tages teilt Ihnen Ihre Bank ohne Vorwarnung mit, dass Ihre Konten geschlossen werden, da Sie nicht mehr in ihr “Risikoprofil” passen. Verwirrt und besorgt wenden Sie sich an Ihren Bankberater – ohne Antwort. Es gibt keine Erklärung. Ihre Kreditkarten werden gesperrt, neue Konten können Sie nicht eröffnen, selbst Ihr Steuerberater und Anwalt stellen die Zusammenarbeit ein. Was wie eine Szene aus einer dystopischen Serie klingt, ist Realität für Menschen, die auf der Datenbank World-Check (Refinitiv) als “Hochrisikopersonen” geführt werden. So geschah es Mohammed Kozbar, Vorsitzender der Finsbury Park Moschee in Nord-London.
Der Fall der Finsbury Park Moschee
2015 erhielt Herr Kozbar von der HSBC die Mitteilung, dass das Bankkonto der Moschee geschlossen werde. Die Bank berief sich auf eine “allgemeine Überprüfung” und gab an, dass die Bereitstellung von Bankdienstleistungen nicht mehr ihrem “Risikoprofil” entspreche. Eine Begründung oder die Möglichkeit einer Berufung wurden nicht gegeben. Kozbar zeigte sich ratlos und verwies darauf, dass es keine Probleme zwischen der Moschee und der Bank gegeben habe. Erst später entschuldigte sich Thomson Reuters öffentlich und zahlte Entschädigung: Die World-Check-Datenbank hatte die Moschee zu Unrecht mit Terrorismus in Verbindung gebracht. Die Daten waren veraltet und bezogen sich auf Presseberichte, die aus der Zeit vor der Reorganisation der Moschee stammten. Der Fall zeigt, wie verheerend sich geheime Datenbanken auf Organisationen und Personen auswirken können.
Geschichte
World-Check wurde 2001 von David Leppan gegründet, um Finanzinstitutionen beim Risikomanagement zu unterstützen. 2011 wurde die Datenbank von Thomson Reuters übernommen und 2018 im Zuge eines Joint Ventures mit Blackstone Teil des neuen Unternehmens Refinitiv. 2021 wurde Refinitiv wiederum von der London Stock Exchange Group (LSEG) aufgekauft, womit sich der Einflussbereich der Datenbank weiter vergrößerte.
KYC und Risikomanagement-Datenbank
World-Check wird heute als zentrales Tool für “Know Your Customer” (KYC)-Verfahren genutzt. Die Datenbank umfasst über fünf Millionen Datensätze zu Personen, Organisationen und Schiffen, die potenziell mit Geldwäsche, Terrorismus oder anderen Vergehen in Verbindung stehen. Banken und Finanzdienstleister nutzen World-Check zur Einhaltung von Geldwäschegesetzen und zur Risikobewertung von sogenannten politisch exponierten Personen.
World-Check klassifiziert Einträge in Kategorien wie sanktionierte Gruppen, Geldwäscher oder Betrüger – Gruppen, die Banken aus Risikogründen meiden. Obwohl World-Check betont, dass nur vertrauenswürdige Quellen wie staatliche Datenbanken verwendet werden, zeigt Kritik ein anderes Bild.
Kritik
Kritiker weisen darauf hin, dass World-Check veraltete, voreingenommene oder islamfeindliche Quellen verwendet. Dies führe zu fehlerhaften Einträgen mit schweren Konsequenzen für die Betroffenen. Die Datenbank ist nicht öffentlich einsehbar, auch Nutzerunternehmen geben keine Auskunft. Die Intransparenz steht dem Anspruch entgegen, Sicherheit und Vertrauen zu fördern. Vielmehr scheint World-Check zur modernen Form einer intransparenten schwarzen Liste zu werden.
Kriminell ohne Urteil?
Ein tiefer Blick in die Datenquellen von World-Check offenbart Datenschutzprobleme. Eine der auffälligsten Quellen für russische Namen ist die Seite “Ruscrime” (früher “I’m Criminal”). Schon der Name unterstellt Schuld. Die Seite selbst behauptet, sie übersetze lediglich russischsprachige Artikel, um über Korruption in Russland zu berichten. Doch der Eindruck, der bei einem flüchtigen Leser entsteht, ist: Hier geht es um Kriminelle. Diese implizite Schuldvermutung widerspricht der Unschuldsvermutung (Artikel 6 EMRK).
Im Fall unseres Mandanten war kein Urteil veröffentlicht. Zwar lag eine INTERPOL-Red Notice vor, diese wurde jedoch später wegen politischer Motive aufgehoben. Dennoch wurde sein Name auf Ruscrime weitergeführt und diente World-Check als Quelle.
Zwei Aspekte sind besonders problematisch:
- Der Seitentitel suggeriert Schuld und verletzt damit das rechtliche Prinzip der Unschuldsvermutung. Webseiten sind keine Gerichte, Redakteure keine Richter.
- Die Seite spricht nicht von Verdacht, sondern stellt Behauptungen als Tatsachen dar. Sie listet Personen auf, die juristisch nicht als schuldig gelten. Das ist rechtswidrig und ethisch fragwürdig.
Zuverlässigkeit von Quellen
Wenn World-Check auf solche Seiten zurückgreift, leidet die Glaubwürdigkeit der gesamten Datenbank. Die DSGVO schreibt in Artikel 5(1)(d) vor, dass Daten richtig und aktuell sein müssen. Artikel 5(1)(a) verlangt eine rechtmäßige Verarbeitung. Die Nutzung solcher Quellen kann diese Anforderungen gravierend verletzen.
World-Check ist verpflichtet, Quellen genau zu überprüfen. Nur durch sorgfältige Validierung können rechtliche Risiken minimiert und das Vertrauen gewahrt werden.
Verantwortung der Rechtsanwälte
Als Juristen müssen wir hinterfragen, ob World-Check in seiner aktuellen Form individuelle Rechte verletzt. Wenn unprüfbare Quellen zur Grundlage schwerwiegender Entscheidungen werden, ist nicht nur der Datenschutz betroffen – sondern das Fundament unseres Rechtssystems. Jeder Mensch muss die Möglichkeit haben, gegen falsche Einträge vorzugehen und deren Löschung zu beantragen. Sonst droht digitale Ausgrenzung durch ein undurchsichtiges System.
Was tun, wenn Sie gelistet sind?
Sollten Sie oder Ihr Unternehmen auf World-Check erscheinen, gehen Sie wie folgt vor:
- Datenauskunft anfordern: Stellen Sie einen Data Subject Access Request (DSAR), um zu erfahren, welche Daten World-Check über Sie gespeichert hat.
- Inhalte prüfen: Überprüfen Sie die Einträge auf Fehler oder veraltete Informationen.
- Korrektur verlangen: Bitten Sie um Berichtigung nachgewiesener Fehler unter Vorlage geeigneter Nachweise (z. B. Gerichtsentscheidungen, amtliche Schreiben).
- Löschung beantragen: Bei unrechtmäßiger Verarbeitung können Sie auf Löschung bestehen – am besten mithilfe eines spezialisierten Anwalts.
Benötigen Sie rechtliche Unterstützung bei World-Check-Einträgen oder Datenschutzverletzungen?
Unsere Kanzlei ist auf internationale Datenschutz- und Reputationsfragen spezialisiert. Wir unterstützen Sie bei Auskunft, Korrektur oder Löschung sensibler Daten und setzen Ihre Rechte konsequent durch. Kontaktieren Sie uns vertraulich für eine Ersteinschätzung Ihrer Situation.